Europäischer Weg nicht gewünscht
Eine Befragung zur deutschen Hochschullandschaft im Jahr 2030
förderte viel Pessimismus zutage
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"Viele erwarten einen
hohen finanziellen Druck auf die Hochschulen."
Andreas Poltermann, Heinrich-Böll-Stiftung
© TU-Pressestelle |
Die Heinrich-Böll-Stiftung
führte im Sommer dieses Jahres zusammen mit der Freien
Universität Berlin unter 800 Hochschulforschern, -politikern
und -leitungen eine Befragung zur deutschen Hochschullandschaft
im Jahr 2030 durch. TU intern sprach mit Dr. Andreas Poltermann,
Leiter des Bereichs Bildung und Wissenschaft bei der Heinrich-Böll-Stiftung,
über die Studie.
Herr Dr. Poltermann, was sind die wichtigsten Ergebnisse?
Wir haben nach Erwartungen und Wünschen für die deutsche
Hochschullandschaft gefragt, und das Ergebnis ist, dass diese sehr
weit auseinandergehen. Die Befragten erwarten, dass sich die Hochschulen
sehr stark marktorientiert verhalten und stark auf Industrieforschung
angewiesen sein werden. Der Stellenwert der Geistes- und Sozialwissenschaften
wird aufgrund der Abhängigkeit von externen Finanzierungsquellen
abnehmen. Durch diesen Bedeutungsverlust wird befürchtet, dass
die Universitäten nicht in dem Maße werden Antworten
geben können auf die drängenden gesellschaftlichen Fragen
wie zum Beispiel zur Zukunft der Arbeitsgesellschaft. Dies würde
aber von einer Universität in einer Wissensgesellschaft erwartet.
Ein anderes wichtiges Ergebnis ist, dass die Mehrzahl der Befragten
die Europäisierung der Hochschulpolitik gar nicht wünscht
und auch nicht erwartet. Das hat mich sehr erstaunt. Vor allem vor
dem Hintergrund, dass ein europäisches Institute of Technology,
ein europäischer wissenschaftlicher Rat und auf mittlere Sicht
auch europäische Alternativen zum deutschen System der Forschungsförderung
entstehen werden.
Hochinteressant ist auch, dass ein Grundeinkommen für alle
europäischen Studierenden von vielen Befragten gewünscht
wird, aber die wenigsten rechnen damit. Alles in allem ist ein ziemlicher
Pessimismus zu spüren.
Es verwundert, dass gerade die Akteure im Hochschulbereich ein
pessimistisches Zukunftsbild entwerfen, sind sie es doch, die Zukunft
gestalten sollen.
Ja, wir waren überrascht, dass die Zukunftsszenarien so pessimistisch
ausfallen. Viele erwarten einen hohen finanziellen Druck auf die
Hochschulen und eine starke Marktabhängigkeit. Sicher ist das
eine mögliche Zukunft, doch in der Demokratie gibt es viele
Möglichkeiten, die Weichen anders zu stellen. Diesen Pessimismus
haben wir so nicht vorausgesehen. Wir dachten, die Hochschulen würden
an diese Themen selbstbewusster herangehen.
Wie erklärt sich dieser Pessimismus?
Die gegenwärtig schlechten Erfahrungen werden in die Zukunft
projiziert. Außerdem ist mit dem Exzellenzwettbewerb der Weg
zu einer starken Differenzierung der deutschen Hochschullandschaft
gewiesen worden. Die Differenzierung zwischen forschungsstarken
Universitäten, Hochschulen, die eine stärkere regionale
Bedeutung, und Hochschulen, die eine stärker lehrende Funktion
haben, muss angenommen werden. Viele empfinden diese Differenzierung
jedoch als verheerend, weil sie um ihren Status als Professor fürchten.
Solange das so ist, werden sie wenig kreativ - um nicht zu sagen,
depressiv - sein. Ich denke, die Differenzierung wird den Hochschulen
guttun, weil ja schon lange nicht mehr alle alles gleich gut bewältigen.
Die Hochschulen müssen die Aufgabe darin sehen, das Segment,
das ihnen in der nationalen und europäischen Arbeitsteilung
zufällt, exzellent auszufüllen, dass sie das, was sie
leisten können, gut leisten. Das wäre die Grundlage für
ein offensiveres Umgehen mit den eigenen Möglichkeiten und
mit der Gestaltung der eigenen wie auch unserer gesellschaftlichen
Zukunft.
Was erwarten Sie von den Universitäten hinsichtlich der
Gestaltung ihrer eigenen Zukunft?
... dass sie eben nicht ausschließlich marktabhängig
und marktgetrieben sein werden, vor allem die Eliteuniversitäten
nicht. Eliteuniversitäten werden wegen ihres hohen Prestiges
viele Ressourcen am Markt erschließen können. Sie müssen
diese Ressourcen so einsetzen, dass sie sowohl Marktbedürfnisse
befriedigen als auch strategische Initiativen an der eigenen Hochschule
finanzieren können, die für die Zukunft einer Gesellschaft
bedeutsam sind. Wir brauchen die Universitäten als normsetzende
Akteure für die Gestaltung der Zukunft.
Das Gespräch führte Sybille Nitsche
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