Ingenieur, Unternehmer, Firmenpatriarch
Wie aus Werner von Siemens SIEMENS wurde
Werner von Siemens, der Prototyp des Ingenieur-Unternehmers,
der liberale Firmenpatriarch, der Kapitän eines "Weltgeschäfts
à la Fugger", scheint uns heute fern, ein Mann des 19.
Jahrhunderts - faszinierend und märchenhaft. Blicken wir jedoch
einmal in seine "Lebenserinnerungen" so scheinen sie uns
erstaunlich modern, als ob der Autor gerade erst die neuesten Bildungs-
und Innovationstheorien gelesen habe. Welche "Universitäten"
hat Siemens durchlaufen?
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Die Siemens-Skulptur
frisch geputzt und enthüllt. Empfehlenswert zur weiteren
Beschäftigung mit Siemens ist die von Wilfried Feldkirchen
besorgte, reich illustrierte Neuausgabe der Lebenserinnerungen
von Werner von Siemens (München, Zürich: Piper, 2004)
© TU-Pressestelle |
Er wird als viertes von 14 Kindern am 13. Dezember 1816 in Lenthe
bei Hannover geboren. Der Vater ist Pächter, doch die Landwirtschaft
durchleidet eine tiefe Krise. In die Schule geht der kleine Werner
zunächst bei Großmutter und Vater. Dann folgt ein Jahr
Bürgerschule. Ostern 1829 engagiert der Vater einen Hauslehrer.
Sponholz, ein Theologe, hochgebildet, aber wegen seiner modernen
Auffassungen schlecht angesehen bei den geistlichen Vorgesetzten,
ist offensichtlich ein pädagogisches Naturtalent. Er versteht
es, die "halbwilden Jungens" in lernfreudige Schüler
zu verwandeln, aber nicht durch Strafen und Negativprophezeiungen,
sondern durch Wecken der kindlichen Neugier und des Nachahmungstriebs.
Später wechselt Siemens an das altsprachliche Lübecker
Katharinen-Gymnasium. Aber er interessiert sich eher für Naturwissenschaften
und Technik. Er wünscht sich ein Studium an der legendären
Berliner Bauakademie und nimmt Privatunterricht in Mathematik und
in Vermessungstechnik. Doch den Eltern fehlt das Geld für ein
solches Studium. Ein Lehrer rät ihm, in das preußische
Militär-Ingenieurkorps einzutreten, dem eine exzellente technische
Ausbildung zuteilwerde. Ostern 1834 verlässt Siemens ohne Abitur
die Schule, wandert zu Fuß nach Berlin und wird im November
1834 Artillerist. Er lernt den preußischen Drill, aber auch
Kameradschaft kennen. Nach einem Jahr besteht er als einer der Besten
die Aufnahmeprüfung für die Berliner Artillerie- und Ingenieurschule.
Hier unterrichten bedeutende Wissenschaftler ihrer Zeit: zum Beispiel
der Mathematiker Martin Ohm oder der Physiker Gustav Magnus. Siemens
eröffnet sich eine neue, interessante Welt. Die Liebe zu den
Wissenschaften und die Erkenntnis lebenslangen Lernens hat er von
dort für seinen weiteren Lebensweg mitgenommen. Der junge Seconde-Leutnant
mit den rebellischen Locken, aus denen ewig keine glatte militärische
Haarfrisur zu machen ist, wird wegen seines Erfindergeistes geschätzt.
Er entwickelt die Schießbaumwolle weiter und unternimmt elektrolytische
Experimente. Für galvanische Vergoldung bekommt er sogar ein
preußisches Patent. Bruder Wilhelm gelingt es, die Erfindungen
in England zu vermarkten. Doch Werner überdenkt seine Lebensplanung.
Das Jagen nach Erfindungen brachte erste Erfolge, aber auch die
Gefahr, sich zu verzetteln. Er will sich konzentrieren. Er besucht
die Privatkolloquien seines alten Lehrers Magnus am Kupfergraben.
Hier lernt er den Universitätsmechaniker Johann Georg Halske,
aber auch einige junge Doktoranden wie Hermann Helmholtz und Emile
du Bois-Reymond, die späteren Begründer der "Berliner
Physik", kennen. Die preußische Armee will jetzt ihre
optischen Telegrafen durch elektrische ersetzen, einige Modelle
gibt es, aber sie sind noch untauglich für Dauerbetrieb. Siemens
gelingt es, den Zeigertelegrafen zu verbessern, und hat so seine
Lebensaufgabe gefunden. Am 12. Oktober 1847 eröffnen Siemens
und Halske im Hinterhaus der Schöneberger Straße 19 eine
Telegrafenanstalt, die Urzelle der späteren Weltfirma Siemens.
Hans Christian Förster
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