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Digitalisierung und Universität
2015/2016
Foto: Ulrich Dahl
H
err Professor Heiß, die TU Berlin
setzt seit Jahren Maßstäbe in der
Ingenieurausbildung. Wie muss
Ihrer Meinung nach die Ausbildung
strukturiert sein, um die Absolventin-
nen und Absolventen auf die Anforde-
rungen von Industrie 4.0 beziehungs-
weise die digitalisierte Arbeitswelt
vorzubereiten?
Hans-Ulrich Heiß:
Ich vertrete das soge-
nannte „T-shaped skills“-Modell in der Aus-
bildung. Das heißt, ich glaube, wir brauchen
auch zukünftig Elektrotechniker, Informatiker,
Maschinenbauer und Maschinenbauerinnen
und so weiter, die ein tiefes, fundamen-
tales Wissen in ihrem Fach haben, das sie
studierten – das ist der senkrechte Balken.
Daneben brauchen unsere Absolventinnen
und Absolventen aber auch ein breites
Wissen über die potenzielle Anwendung und
Verknüpfung ihres speziellen Fachwissens
mit angrenzenden Fachbereichen – das ist
der Querbalken des T. Das Bachelor-Studium
in den Ingenieurwissenschaften sollte
breit angelegt sein, in den entsprechenden
Master-Studiengängen bieten wir dann zahl-
reiche Kombinationsmöglichkeiten für die
verschiedenen Vertiefungen an.
Industrie 4.0 beschäftigt die Medien,
manchen Unternehmer, die Politik und
natürlich auch die Universitäten hier
zulande. Wird das Thema zu deutlichen
Veränderungen in der Lehre an der
TU Berlin führen?
Ich glaube, dass unsere Absolventinnen und
Absolventen sehr gut auf die neuen Entwick-
lungen – wie zum Beispiel das Internet der
Dinge – vorbereitet sind. Die Vernetzung von
verschiedenen Disziplinen gilt als Voraus-
setzung für Industrie 4.0: Wir bieten bereits
seit vielen Jahren stark interdisziplinäre
Studiengänge an, wie unser Wirtschafts
ingenieurwesen oder Informationstechnik
im Maschinenwesen. Und genau das wird
von der Wirtschaft und der Forschung immer
öfter gefordert. Der Vernetzungsgrad unter
den einzelnen Fakultäten ist hoch und steigt
ständig – auch universitätsübergreifend. Ein
Beispiel: Es wird demnächst einen Master-
Studiengang Medieninformatik geben, bei
dem die TU Berlin mit der Freien Universität
Berlin, der Humboldt-Universität zu Berlin und
der Filmuniversität Babelsberg kooperiert.
Wenn die TU Berlin neue Studiengänge
einführt, braucht sie dann nicht doch
auch einen Studiengang Industrie 4.0?
Wir reagieren auf Anforderungen aus der
Wissenschaft und aus der Industrie, aber
wir benötigen meiner Ansicht nach keinen
neuen Studiengang Industrie 4.0. Die kon-
tinuierliche Weiterentwicklung der Studien-
gänge ist ausreichend. Ich bin überzeugt,
dass Industrie 4.0 – wenn es dann Realität
wird – unsere Wirtschaft verändern und na-
türlich auch Einfluss auf die Hochschulen ha-
ben wird. Aber unsere Studiengänge werden
regelmäßig evaluiert und angepasst, Trans-
und Interdisziplinarität großgeschrieben
und gefördert. Sicherlich werden zukünftig
auch unsere Master-Studiengänge in den
Ingenieurwissenschaften intensiver an die
Erfordernisse dieser Forschung angepasst.
Wie gut ist die TU Berlin positioniert,
um auf die viel beschworene
„4.0-Revolution“ zu reagieren?
Wir verfügen in dem Bereich Industrie 4.0
über hervorragende Wissenschaftlerinnen
und Wissenschaftler sowie Forschungsinsti-
tute. Außerdem denke ich, man sollte und
kann nicht jedes Mal, wenn eine wissen-
schaftliche Revolution ausgerufen wird,
die gesamte Universität umbauen.
Interessant bleibt für mich vor allem die
Frage: Wie schaffen wir es, die exzellente
Forschung und Ausbildung, die unsere
Hochschule auf dem Gebiet leistet, sicht
barer zu machen? Hier könnte ich mir ein
Kompetenzzentrum in Berlin, mit Beteiligung
der Hochschule, der Wissenschaft und der
Industrie – wie es immer mal wieder im
Gespräch war – gut vorstellen.
Interview Katharina Jung
Foto: Philipp Arnoldt Photography
Prof. Dr. Hans-Ulrich Heiß