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Unser digitalisiertes Leben
2015/2016
A
uf dem Boden weisen blaue Kreise den Weg.
Links die Silhouette der Siegessäule, rechts Fern
sehturm, Reichstagsgebäude und Brandenburger
Tor. Am Horizont jedoch türmt sich ein gigantisches Bau
werk auf, seine Kuppel überragt die Berliner Sehenswür
digkeiten bei Weitem. Noch einen Schritt darauf zu und
noch einen. Die letzten 1000 Meter können mit einer
schwebenden Plattform abgekürzt werden, dann erhebt
sich in ihrer vollen Größe die Kuppelhalle, die einst der
Mittelpunkt Germanias werden sollte, der Hauptstadt
des Deutschen Reiches. Glücklicherweise konnte Hitler
seine gigantomanische Vision nie verwirklichen.
Den architektonischen Höllentrip kann man sich deshalb
nur in einer virtuellen Realität (VR) antun, und zwar in
einer Simulation, die ab Frühjahr 2016 im Museum Zitadelle
Spandau mit Hilfe einer speziellen VR-Brille erlebt werden
kann. Entwickelt wurde die Simulation im 3D-Labor der
TU Berlin im Rahmen des Projektes „THEMSE“. „Natürlich
hätten wir auch das Reichstagsgebäude und die Germania-
Halle als Miniaturmodelle nebeneinanderstellen können“,
sagt Prof. Dr. Hartmut Schwandt, Leiter des 3D-Labors der
TU Berlin, „aber selbst durch den Raum zu laufen und die
Größenverhältnisse in Relation zum eigenen Körper nach
vollziehen zu können, bietet ein ganz neues, emotionales
Erlebnis.“
Die Zusammenarbeit mit der Zitadelle war nur eine von
vier Kooperationen, innerhalb derer das 3D-Labor in den
letzten Jahren ausgelotet hat, wie moderne 3D-Techno
logien für museale Zwecke nutzbar gemacht werden
können. Weitere Projektpartner waren das Berliner Stadt
museum, die Gipsformerei der Staatlichen Museen sowie
das Heimatmuseum Neukölln. Neben den dreidimensio
nalen virtuellen Welten haben die Forscher der TU Berlin
auch immer wieder mit greifbaren dreidimensionalen
Objekten aus 3D-Druckern experimentiert. „3D-Druck
verfahren ermöglichen uns ganz neue Varianten, Dupli
kate herzustellen“, sagt Schwandt. Im Gegensatz zum
mühevollen händischen Nachbau von Ausstellungs
objekten macht es ein 3D-Scan eines Objektes sehr ein
fach, auf einen Schlag beliebig viele Duplikate in belie
biger Skalierung zu produzieren. „Für das Heimatmuseum
Neukölln haben wir aus einigen Objekten, die im Original
sehr klein sind, vergrößerte Kunststoffdrucke angefertigt,
damit beispielsweise Sehbehinderte sie tastend begreifen
können“, so Schwandt.
Viele Anwendungen, die im „THEMSE“-Projekt entstanden
sind, können Leuchtturmcharakter für andere Museen
haben. Schwandt ist sich sicher, dass 3D-Technologien
großes Potenzial für Museen bieten. Allerdings, so der
Wissenschaftler, sei die Einstiegshürde gegenwärtig noch
hoch: Die Geräte seien teuer, und die Bedienung erfor
dere sehr spezielles Know-how. Die Zusammenarbeit mit
externen Partnern ist derzeit also unerlässlich.
Das 3D-Labor der TU Berlin präsentiert
aktuelle Forschungen unter
www.tu-berlin.de/3dlaborText Michael Metzger
GESCHICHTE IM
CYBERSPACE
Berliner Museen profitieren vom Know-how
des 3D-Labors und seinen 3D-Technologien
Grafik: TU Berlin /Institut für Mathematik /3D-Labor