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Unser digitalisiertes Leben
2015/2016
A
ls Industrie 4.0 wird der „nächste Evolutionsschritt
der Industrie“ bezeichnet. Im Fokus stehen nun die
intelligenten Objekte, also Maschinen, bis hin zu All
tagsgegenständen, die sich selbst steuern und auch über das
Internet eigenständig Informationen austauschen können,
um dann entsprechende Aktionen auszulösen. Ermöglicht
wird dies durch die Integration von Prozessoren, Kommuni
kationsmodulen und Sensoren in zahlreiche Gegenstände bis
hin zu ganzen Maschinenanlagen. Auch die intelligente Inter
aktion mit dem Menschen selbst ist wesentlicher Bestandteil
der weiteren Entwicklung. Die Benutzerinnen und Benutzer
werden mit relevanten Informationen je nach konkretem
Arbeitsprozess, in dem sie stehen, versorgt.
Mit Industrie 4.0 gibt es neue Rechtsprobleme. Der Grund
dafür ist, dass Industrie 4.0 einerseits genau wie die vorher
gehenden Produktionsmethoden zu vielfältigen Konflikt
situationen führen wird und andererseits erkennbar ist, dass
die bestehenden rechtlichen Methoden beziehungsweise
Möglichkeiten den neuen Anforderungen nicht entsprechen.
Die im Folgenden aufgezählten Beispiele aus der Arbeitswelt
von Industrie 4.0 sollen das aufzeigen: Ein bedeutsames
Problem liegt in der zunehmenden und schon jetzt sehr in
tensiven Vernetzung der autonomen Systeme untereinander
und ihrer Integration in bisherige klassische IT-Umgebungen.
Durch diese Summe sich untereinander ergänzender Informa
tionen beziehungsweise Steuerungssysteme wird für den Be
reich der Produkthaftung ein sehr großes Problem entstehen.
Es wird künftig in vielen Fällen nicht mehr möglich sein, den
Verursacher fehlerhafter Daten beziehungsweise fehlerhafter
Software für eingetretene Schäden in die Haftung zu neh
men. In Zukunft werden deshalb Unternehmen nicht nur als
Konstruktions- und Produktionsgemeinschaften in Erschei
nung treten, sondern auch als Risikogemeinschaften.
Eine weitere Herausforderung ist, dass die technische Ent
wicklung so schnell verläuft, dass Steuerungsalgorithmen
von gestern schon nicht mehr benutzt werden können,
sondern wieder durch neue Algorithmen angepasst oder
ersetzt werden müssen. Ein Verhalten, das noch vor wenigen
Tagen als eine ordentliche Prozesssteuerung angesehen
werden konnte, kann in der nächsten Woche bereits zum
sprichwörtlichen alten Eisen gehören; es besteht ein Zwang
zur ständigen Modernisierung. Der gewerbliche Rechtsschutz,
insbesondere der Patentschutz, und auch der urheberrecht
liche Schutz, der für den Softwarebereich wichtig ist, wird
eine besondere Bedeutung erhalten. Zum Beispiel sind im
Bereich der additiven Fertigung alle CAD-Daten und die
Software, die den Drucker antreibt, auf einem Datenträger
vorhanden und leicht zu plagiieren. Der patentrechtliche
Erzeugnisschutz ist deshalb auf die gespeicherten Konstruk
tions- und Fertigungsdaten vorzuverlegen, weil das Produkt
bereits virtuell vorhanden ist.
Ein Monopol darf nicht entstehen
Das zurzeit am meisten besprochene Problem ist die Frage
nach der Datenhoheit. Wem gehören die Daten, die durch
datengenerierende Programme in sehr vielen technischen
oder sozialen Umgebungen gesammelt werden und
die schon aus heutiger Sicht einen bedeutsamen Anteil
an der Wertschöpfung haben werden? Ein Eigentum an
Informationen/Daten gibt es nicht. Die bestehenden Schutz
rechte sind darauf ausgerichtet, das zu schützen, was aus
vorgegebenem Wissen neu entwickelt wird. Die Informatio
nen selbst sind nicht geschützt. Die Vorgaben an ein noch zu
entwickelndes Schutzrecht sind mittlerweile erarbeitet: Die
Informationssammlung stellt einen Wert dar, der auch mit
einer gewissen Berechtigung an der Nutzung der ermittelten
Daten belohnt werden sollte. Es dürfen dabei aber keine
Informationsmonopole geschaffen werden; der Berechtigte
darf sie für seine Zwecke nutzen, ohne ein ausschließliches
Recht an der betreffenden Information zu erhalten.
An den Problemlösungen wird intensiv gearbeitet. Besondere
Bedeutung hat dabei die vom Bundeswirtschaftsministerium
im April 2015 gegründete Plattform Industrie 4.0. Sie bündelt
das Wissen unterschiedlicher Akteure aus Unternehmen,
Verbänden, Gewerkschaften, Wissenschaft und Politik. Die
Plattform gliedert sich in fünf Arbeitsgruppen, von denen
eine Gruppe rechtliche Rahmenbedingungen behandelt. Die
hier angesprochenen Problembereiche gehören zum Arbeits
programm.
Dr. Jürgen Ensthaler ist Professor
für Wirtschafts-, Unternehmens-
& Technikrecht an der TU Berlin.
Er ist Mitglied der vom Bundes-
wirtschaftsministerium eingerich-
teten Plattform Industrie 4.0, die
von Bundeswirtschaftsminister
und Vizekanzler Sigmar Gabriel
und Bundesforschungsministerin
Johanna Wanka geführt wird.
Dort leitet er den Arbeitsbereich
Patent- und IT-Recht.
WEM GEHÖREN
DIE DATEN?
Industrie 4.0, die digitalisierte Produktion, stellt das
Wirtschafts- und Patentrecht vor viele Probleme
Text Jürgen Ensthaler
Foto: Ulrich Dahl