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Unser digitalisiertes Leben

2015/2016

Aus den technischen Entwicklungen

ergeben sich viele Anwendungen:

Die Apps auf dem iPad werden durch

Augenzwinkern oder Kopfbewegungen

gesteuert. Ein kabelloses Neuro-

Headset macht dies möglich.

Foto: Ulrich Dahl

HÖREN WIE EINE

FLEDERMAUS

Prothesen dienen heute nicht mehr nur der Kompensation,

sondern der digitalen Körperoptimierung

D

ie Frage „Was ist eine Prothese, wofür kann und sollte

sie eingesetzt werden und was machen Prothesen mit

dem Selbstverständnis von Menschen?“ ist aktueller

denn je. Definiert man eine Prothese als ein technisches

Hilfsmittel, das die körpereigenen Fähigkeiten des Men-

schen ergänzt oder verbessert, fällt auch ein Smartphone

in diese Rubrik. „Oder können Sie nur mit Ihrer Stimme

Zehntausende von Kilometern überwinden oder sich ohne

die Memofunktion Ihres Smartphones Wort für Wort unseres

Gesprächs merken?“, fragt Prof. Dr. Christoph Asmuth, Leiter

des Projektes „Anthropofakte“. Der Philosoph ist Privatdozent

am TU-Institut für Philosophie, Literatur-, Wissenschafts- und

Technikgeschichte.

„Die Diskussion, ob technisch anspruchsvolle Prothesen nur

kompensatorisch oder sogar optimierend wirken und was

das mit dem Selbstverständnis der Träger macht,

ist ja bereits über 100 Jahre alt“, so

Asmuth, der in dem vom Bundes-

forschungsministerium geförder-

ten „Anthropofakte“-Projekt

die Schnittstelle zwischen

menschlichem Körper und

Technik erforscht. „Be-

reits so lange betrachtet

die Technik-Philosophie

im strengen Sinne jede

Technik, die als Erweite-

rung oder Verlängerung

der eigenen Fähigkeiten

dient, als Prothese. Seit Ende

des 19. Jahrhunderts gibt es

Ansätze, Prothesen zu entwi-

ckeln, die gezielt für bestimmte Funktionen oder Tätigkeiten

eingesetzt werden können – früher als Kompensation ge-

dacht, findet das heute immer öfter im Sinne des modernen

Körper-Enhancements, also der Körperoptimierung, statt.“

Immer mehr Menschen betrachten ihren Körper als etwas,

das durch Hightech ständig verbessert werden kann – und

sollte. Die Digitalisierung und die Miniaturisierung schaffen

da ganz neue Möglichkeiten. Sogenannte Cyborgs – Mischwe-

sen aus einem lebendigen Organismus und Technik – sind

längst keine Vision mehr. In Berlin gibt es einen Cyborg-

Verein und in Düsseldorf fand Anfang November 2015 die

erste Cyborg-Messe statt. Dort konnte sich jeder Besucher

im Schnellverfahren einen kleinen Chip, mit dem sich ein

Computer entsperren oder die Haustür öffnen lässt, unter

die Haut implantieren lassen. Es gibt gehörlose Menschen

mit einem Cochlea-Implantat (moderne Hörprothese für das

Innenohr), die darüber nachdenken, wie sie ihr Implantat

hacken können, um es mit neuen Fähigkeiten – wie zum

Beispiel Ultraschallhören, wie es eine Fledermaus kann – zu

erweitern. „Aus all diesen Entwicklungen ergeben sich eine

Menge ethisch-moralische, aber auch juristische Fragen, mit

denen sich nicht nur die Wissenschaft, sondern vor allem

unsere Gesellschaft beschäftigen sollte“, so Asmuth. „Im

Moment konzentriert sich die Diskussion dabei meist auf die

Frage: Geht das technisch? Wichtiger erscheint mir die Frage:

Wie will die Gesellschaft diese digitale Technik in Zukunft

nutzen? Wie verhindern wir eine Zweiklassengesellschaft: die

Klasse der technisch aufgerüsteten ‚Superabled’ gegenüber

den ‚Disabled’, ohne digitale Technik im Körper?“

www.anthropofakte.de

Text Katharina Jung