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20

Unser digitalisiertes Leben

2015/2016

Foto: Ulrich Dahl

H

err Professor Uhl-

mann, der Begriff

Industrie 4.0 ist

zurzeit in aller Munde,

wenn es um den Stand-

ort Deutschland geht –

was genau bedeutet

Industrie 4.0 eigentlich?

Eckart Uhlmann:

Leider

werden die Begriffe „Digi-

talisierung“ und „Industrie

4.0“ häufig vermengt. Tat-

sächlich steht Industrie 4.0

für die intelligente Vernetzung von Produktentwicklung,

Produktion, Logistik und Kunden – unter Einsatz der Digitali-

sierung. Ziel von Industrie 4.0 ist es unter anderem, stark in-

dividualisierte Produkte zu den Kosten von Massenprodukten

herzustellen. Eine Weiterentwicklung, die mit herkömmlichen

Produktionstechniken nicht erreichbar ist.

Im Vergleich mit anderen Bundesländern existiert Indus-

trie 4.0 in Berlin bislang eher in der Theorie. Sie haben

jetzt im Auftrag des Berliner Senats eine Potenzialana-

lyse dazu durchgeführt. Wo liegen Berlins Stärken und

Schwächen auf dem Gebiet?

Zu den Stärken zählen eindeutig die am Standort Berlin viel-

fältig vorhandenen kleinen und mittelständischen Unterneh-

men in dem Informations-und-Kommunikations-Technik-Sek-

tor. Berlin hat eine starke Gründerszene und ist die Hauptstadt

der IT-Start-ups. Gleichzeitig

besitzt Berlin eine vielfäl-

tige und leistungsstarke

Forschungs- und Entwick-

lungskompetenz in den

Universitäten und außeruni-

versitären Einrichtungen.

Die Schwächen liegen in

der gleichen Richtung: Es

gibt wenig Großindustrie, aber viele – zum Teil exzellente –

Einzelplayer in der Berliner Forschung und Industrie, die eben

schlecht oder gar nicht vernetzt sind. Bei vielen kleinen und

mittelständischen Unternehmen sind die Bedeutung und

die Chancen von Industrie 4.0 noch nicht angekommen. Sie

haben Angst vor großen Investitionen und unübersehbaren

Risiken. Eine von der Politik initiierte, groß angelegte Road-

map zu dem Thema könnte da aufklären. Die Einführung und

Nutzung von Technologie im Sinne von Industrie 4.0 ist für

die Standortsicherung alternativlos. Erst recht für eine Stadt

mit mittelständisch geprägter Industrie. Industrie 4.0 schafft

die notwendige Vernetzung, die es kleineren Unternehmen

erst möglich macht, sich zum Beispiel zu Systemlieferanten

zusammenzuschließen und so als attraktive Partner mit den

großen Unternehmen zusammenzuarbeiten.

Was müsste geschehen, um Industrie 4.0 hier zu etablieren?

Unsere Handlungsempfehlung an den Senat gliedert sich

ganz grob in vier Bausteine: Erstens brauchen wir eine

gemeinsame Strategie für den Industriestandort Berlin. Dazu

müssten sich alle Beteiligten – Politik, Industrie und Wis-

senschaft – eng zusammenschließen. Zweitens müssen in

diesem Netzwerk in enger Abstimmung mit der hier ansäs-

sigen Industrie berlinspezifische Leuchtturmprojekte defi-

niert werden. Diese könnten zum Beispiel in den Bereichen

IT-Sicherheit, cloudbasierte Steuerung, Schnittstelle Mensch/

Technik oder der Entwicklung von neuen Geschäftsmodellen

liegen. Drittens brauchen wir verschiedene Kompetenz- und

Anwendungszentren. Modellfabriken, die zeigen, was wir

bereits können, und gleichzeitig einen Raum bieten, in dem

Industrie und Wissenschaft gemeinsam ausprobieren können,

welche konkreten Lösungen möglich und realisierbar sind.

Viertens bräuchte man eine Art kleine Informationsgeschäfts-

stelle, die die spezifische Berliner Industrie-4.0-Landschaft

sichtbar macht für die gesamte Welt.

Welche Rolle könnte in diesem Prozess die TU Berlin

spielen?

In der TU Berlin gibt es in so wesentlichen Bereichen wie

Maschinenbau, Informationstechnologie, Fertigungstechnik,

Automatisierungstechnik, Mikrosystemtechnik eine hervor-

ragende Expertise – aber auch hier fehlt die Vernetzung.

Was wir benötigen, ist eine verbindliche Heimat, eine eigen-

ständige Organisationseinheit innerhalb der Universität, die

sich Industrie 4.0 auf die Fahnen schreibt. Das funktioniert

aber nur, wenn alle Beteiligten auch ihre Grundfinanzierung

mit in diese Organisationseinheit einbringen, lediglich einen

Sonderforschungsbereich oder Ähnliches zu gründen reicht

meiner Meinung nach nicht aus. In der Konsequenz würden

dabei auch neue Studiengänge entstehen. Das könnte unter

anderem eine Art Wirtschaftsingenieur-Industrie-4.0-Studien-

gang sein.

» Industrie 4.0 ist alternativlos für den

Standort Berlin«

Eckart Uhlmann, Leiter des Instituts für Werkzeugmaschinen und Fabrikbetrieb,

fordert eine sichtbare Kooperation von Politik, Wissenschaft und Industrie

Interview Katharina Jung

» Kleine Unternehmen haben

die Bedeutung von Industrie

4.0 noch nicht erkannt.«