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Unser digitalisiertes Leben
2015/2016
Foto: Ulrich Dahl
ACHT MINUTEN
UMWEG FÜR EIN
»HÖHERES« ZIEL
In dem Projekt »TEAM« wird ein
rücksichtsvolleres Miteinander im
Straßenverkehr geprobt
Text Michael Metzger
Das Projekt „TEAM“ ist am Fraunhofer-Institut für
Offene Kommunikationssysteme FOKUS angesiedelt. Das
Daimler Center for Automotive Information Technology
Innovations (DCAITI), ein An-Institut der TU Berlin, und das
TU-Fachgebiet Kombinatorische Optimierung und Graphen-
algorithmen kooperieren unter anderen in „TEAM“. FOKUS
wird von den beiden TU-Professoren Dr. Manfred Hauswirth
und Dr. Ina Schieferdecker geleitet.
www.collaborative-team.euD
er Mensch – im Grunde seines Wesens ein Egoist?
Alles Quatsch, meint Dr. Ilja Radusch, der das Projekt
„Tomorrow’s Elastic Adaptive Mobility“ („TEAM“)
leitet. „Im Straßenverkehr gibt es ständig Situationen, wo
nach kurzem Blickkontakt ein Fußgänger über die Straße
gelassen oder einem anderen Fahrzeug das Einscheren
erlaubt wird“, so Radusch. „Diese kleinen Momente bewei
sen schon: Wo kommuniziert wird, wird auch kooperiert.“
Qualitative Studien, die zu Beginn des Forschungsprojektes
durchgeführt wurden, bestätigen das: 75 Prozent aller be
fragten Berlinerinnen und Berliner würden eine zehnminü
tige Verspätung in Kauf nehmen, wenn diese Verzögerung
einem wie auch immer gearteten „höheren Ziel“ dient.
Im Projekt „TEAM“ arbeiten die Wissenschaftler nun an einer
App, die eine solche Kommunikation im Straßenverkehr
fördern soll. Je nach Anwendung werden Userinnen und Usern
bestimmte Angebote gemacht: Acht Minuten Umweg in Kauf
nehmen und dafür heute mal nicht an der Grundschule vorbei
brettern? Die Kinder würden sich über das Weniger an Abgasen
und Lautstärke sicher freuen. Oder wie wäre es, bei einem
Stau nicht den schnellsten Umweg einzuschlagen – da das ja
auch alle anderen Fahrer machen, wodurch sich dann bald ein
weiterer Stau bildet? „Wir zwingen das Individuum nicht, rück
sichtsvoll zu handeln“, sagt Radusch. „Wir kommunizieren alle
Vor- und Nachteile transparent.“ Allerdings sammeln beson
ders umsichtige Verkehrsteilnehmer auf der App Bonuspunkte.
Haben sie es mal besonders eilig, können sie diese einlösen
und werden dann für kurze Zeit bevorzugt behandelt.
In der Testphase Anfang 2016 in fünf europäischen Städten
wollen Radusch und seine Kollegen herausfinden, welche
Anwendungsmöglichkeiten bei den Nutzerinnen und Nutzern
besonders gut ankommen. Die größte Aufgabe bis jetzt war
es allerdings, eine offen zugängliche Plattform zu program
mieren, die alle europaweit erhobenen Verkehrsdaten von
Ämtern und Behörden bündelt. „Bislang kochen alle Städte
und Gemeinden ihr eigenes Süppchen. Mit unserer Plattform
existiert nun eine Art Verkehrsinformationszentrale, aus der
eingespeiste Verkehrsdaten standardisiert und in Echtzeit
ausgelesen werden können“, erklärt Radusch. Die zukünftige
Plattform soll alle Informationen bündeln und frei zugänglich
sein, sodass auch andere Entwickler darauf zugreifen können.
Vielleicht gibt es dann schon bald eine Vielzahl von Apps, die
alle auf Kommunikation im Verkehr abzielen – und Europas
Straßen ein bisschen kooperativer machen.