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TU intern 11-2016

Seite 10 TU intern · Nr. 11/2016 Forschung Die Beteiligung breiter Schichten wird die Technik voranbringen Neue Methoden der partizipativenTechnikentwicklung Herr Professor Dienel, ohne Partizipation geht nichts mehr in Politik und Gesell- schaft, hat man den Eindruck. Die Bevöl- kerung fordert ihre Beteiligung bei vielen Projekten immer dringlicher. Wie kommt es zu diesem Phänomen? Einerseits haben wir leider eine zu- nehmende Politikmüdigkeit in breiten Bevölkerungsschichten, doch gleich- zeitig steigt die Erwartung an Betei- ligung und Mitsprache. Wir erleben daher eine neue Konjunktur für Bür- gerbeteiligung, gerade auch in Tech- nikentwicklung und Wissenschafts- politik. Es ist auch nicht einzusehen, warum in einem so wichtigen Bereich der Gesellschaft der Souverän, die Bürgerinnen und Bürger, außen vor bleiben sollen. Deshalb gibt es immer mehr Citizen Science sowohl auf der Ebene der strategischen Fragen – wel- che Forschung und welche Technik wollen wir? – als auch in konkreten Projekten der Forschung und Entwick- lung. Dabei kommen neue Formen der Bürgerbeteiligung zum Zug. Ging es in den 1970er Jahren stärker um die Si- cherung der Rechte derAnlieger, etwa in der Bauleitplanung, also um die Mitsprache von Betroffenen, geht es heute stärker darum, das erkennbare Gesamtinteresse zu befördern, etwa in derVerkehrspolitik oder bei der Ener- giewende. Bei vielen Projekten, etwa den Stromtrassen, beißen sich Parti- kular- und Gesamtinteressen. Letzte- re sollen sich durch mehr Partizipation durchsetzen können, natürlich ohne Erstere völlig an den Rand zu drängen. Sie haben Ihr Fachgebiet Arbeitslehre- Technik kürzlich mit Billigung des Akade- mischen Senats der TU Berlin umbenannt in Arbeitslehre/Technik und Partizipation. Warum? Unsere wichtigsten Forschungsschwer- punkte liegen in der Beteiligung an Technik und Technikpolitik – von der politischen Partizipation über Citizen Science, internes Crowdsourcing in Un- ternehmen bis hin zur Beteiligung in der Bildung. Mit diesem Schwerpunkt hat meine Professur einAlleinstellungs- merkmal in einem rasch wachsenden Forschungsfeld. Daneben wollte ich einen Strukturgleichklang mit dem benachbarten FachgebietArbeitslehre/ Ökonomie und Nachhaltiger Konsum meines Kollegen Ulf Schrader errei- chen. Außerdem sollte der Bezug von Technik zur produktiven und reproduk- tivenArbeit in der Fachgebietsbezeich- nung erhalten bleiben. Wir bilden im StudiengangArbeitslehre ja Lehrkräfte fürWirtschaft-Arbeit-Technik aus. In der Technik- und Innovationsfor- schung können Beteiligungsprozesse eine zentrale Rolle spielen. Es geht um Teilhabe an der Technik, um par- tizipative Produktentwicklung, aber auch um die breite Bürgerbeteiligung anTechnik,Wirtschaft und Umwelt. In diesen Bereichen gibt es im Fachgebiet viele Forschungsvorhaben und auch Verbundprojekte mit TU-Kolleginnen und -Kollegen. Ein Beispiel ist ein neues Verbundprojekt, das gerade in der Ausschreibung „Arbeit in der digitalisierten Welt“ im Programm „Zukunft der Arbeit – Innovationen für die Produktion, Dienstleistung und Arbeit von morgen“ positiv evaluiert wurde und mit 1,8 Millionen Euro gefördert werden soll. Worum geht es dabei? Die Arbeit mit digitalen Werkzeugen und Medien durchzieht heute alle Branchen und verändert nicht nur Arbeitsformen und -inhalte, sondern auch die Möglichkeiten zur Beteili- gung von Beschäftigten und Kundin- nen und Kunden an der Technikent- wicklung. Derzeit hat mein Fachgebiet vier laufende Projekte, in denen es um digitale Beteiligungsprozesse geht. Bei dem von Ihnen angesprochenen neu- en Projekt geht es um eine neue Form für das alte „betriebli- che Vorschlagswesen“ über die Smartphones der Beschäftigten. Unser Projekt heißt „Internes Crowdsourcing in Unter- nehmen: Arbeitnehmer- gerechte Prozessinno- vationen durch digitale Beteiligung von Beschäf- tigten.“ Wir entwickeln das Modell, also Strategie, Plattform, Analyse be- trieblicher Rahmenbedingungen und et cetera, andere Verbundpartner tes- ten, optimieren, gestalten die arbeits- rechtlichen Rahmenbedingungen oder Personalentwicklungsmaßnahmen zu Qualifizierung undWeiterbildung oder führen die Partizipation vor Ort durch. Es ist mir wichtig herauszustreichen, dass es sich hierbei um ein internes Crowdsourcing handeln soll, das mit unserem deutschen Arbeitsrecht und mit gewerkschaftlichen Vorgaben in Übereinstimmung zu bringen ist. Es gibt auch amerikanische Modelle, wo hier die Gewerkschafter die Hände über dem Kopf zusammenschlagen würden. Was genau wird dabei unter „internem Crowdsourcing“ verstanden? Wo liegt der Unterschied zum betrieblichen Vor- schlagswesen? Durch die Nutzung der mobilen Endgeräte ist es wirklich etwas ganz Neues. Es ist auch hier, wie in der Politik, die Frage: Können wir an der Weiterentwicklung der Technik, von Innovationen auch in Unternehmen, nicht noch mehr Menschen beteiligen? Wie kann man Leute motivieren teil- zunehmen? Der Hintergrund ist: Wir können es uns nicht leisten, innovati- ve Ideen brachliegen zu lassen. Hier werden Maßnahmen für Unternehmen entwickelt, wie sie ihre Mitarbeiter motivieren können, auch digital an der Ideenfindung für neue Produkte, Dienstleistungen,Arbeitsprozesse und so weiter teilzunehmen.Wir werden in diesem Zusammenhang übrigens auch Weiterbildungsmodule entwickeln, um Unternehmen in die Lage zu ver- setzen, gezielt solche Beteiligungspro- zesse in Gang zu setzen. Sie legen in Ihrer Forschung auch anwen- dungsorientierte Ergebnisse vor, wie die kürzlich veröffentlichte VDI-Richtlinie 7000. Was ist der Inhalt? Und welche Be- deutung hat so eine Richtlinie? Die im letzten Jahr erschienene neue VDI-Richtlinie 7000 für frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung in Indus- trie- und Infrastrukturprojekten ist vom Fachbeirat Gesell- schaft und Technik des VDI erarbeitet worden, dem ich angehöre. Mit der Richtlinie gibt es jetzt einen Stand der Technik, auf den sich Unterneh- men, aber auch Gerichte beziehen können. Die Richtlinie gibt Vorhaben- trägern ein praxisnahes Management-Konzept an die Hand, wie sie Beteili- gungs- und Dialogelemente in die Pro- jektplanung integrieren können. Sie ist damit für Unternehmen, aber auch für die öffentlicheVerwaltung interessant. Vielen Dank! Das Gespräch führte Patricia Pätzold www.technik.tu-berlin.de Kampf gegen den Hunger Humanitäre Logistik an derTU Berlin Hunger ist eines der größten ge- sellschaftlichen Probleme der Gegenwart. In einer Zeit globa- ler Produktionsketten, digitaler Wertschöpfung und dynamischen Wachstums sind noch immer schätzungsweise rund 800 Millio- nen Menschen weltweit von Hun- ger betroffen, davon in besonderer Weise die meisten Länder auf dem afrikanischen Kontinent. Die Lo- gistik bietet einen wesentlichen Erfolgsfaktor bei der Bekämpfung von Hungerkatastrophen. „Der Erfolg jedes humanitären Einsatzes hängt maßgeblich davon ab, ob die Helfer und die Hilfsgüter schnell und sicher in die betroffe- nen Gebiete gelangen“, weiß Prof. Helmut Baumgarten, der seit 2009 das Forschungsprojekt „Humanitä- re Logistik – Logistik für die Hun- gerregionen Afrikas“ leitet. Unter seiner Leitung sind in den vergan- genen Jahren nicht nur die ersten Forschungsarbeiten und Dissertati- onen zu demThema, sondern auch mehr als 40 Bachelor- und Master- Arbeiten entstanden. „Ziel unseres Ansatzes ist es, die Menschen in der Subsahara-Region zu ertüchti- gen, sich selbst zu versorgen. Dazu wird neben funktionierenden Ver- kehrsinfrastrukturen auch ausge- bildetes Personal vor Ort benötigt. Weiterhin gehören derAufbau von Verteilzentren, Kühlketten und die bessere logistische Verknüpfung vonAnbaugebieten und Hungerre- gionen unter Einsatz neuerTechno- logien dazu.“ Im Rahmen des Pro- jektes wurden daher in zwei mit dem Wissenschaftspreis Logistik ausgezeichneten Dissertationen die Potenziale von Wissens- und Tech- nologietransfer für die logistische Entwicklung von Hungerregionen Subsahara-Afrikas ausgelotet. Aus dem Forschungsprojekt ging mit der im Jahr 2011 von der Forschergruppe initiierte African Logistics Conference die erste Lo- gistikkonferenz in Afrika hervor, die seit der Gründung fünfmal von der Kühne-Stiftung gemeinsam mit lokalen Partnern in Tansania aus- gerichtet wurde, unterstützt vom Forschungsteam derTU Berlin. Mit regelmäßig über 180 Teilnehmern hat sich die Konferenz zu einer der führenden Austauschplattformen für Logistiker in Subsahara-Afrika entwickelt. In einer soeben im Universitätsver- lag erschienenen Dissertation wer- den die bisherigen Einzelergebnisse des Forschungsprojektes gebün- delt und Handlungsempfehlungen für eine nachhaltige Entwicklung Subsahara-Afrikas daraus abge- leitet. „Als Forschungsprojekt an der TU Berlin können wir Afrika nicht retten, sondern nur Wissen generieren, bündeln, transferieren und Handlungsempfehlungen ab- leiten. Durch Publikationen und die Zusammenarbeit mit Hilfsor- ganisationen wollen wir zusätzlich internationale Kräfte mobilisieren, vor Ort aktiv zu werden“, so Prof. Helmut Baumgarten. Katharina Jung Frag die Puppe! Das Quality and Usa- bility Lab erforscht die ­ Kommunikation mit einer interaktiven Figur in der Krankenpflege 71 Prozent aller zu pflegenden Perso- nen in Deutschland werden zu Hause betreut – sei es von einem Pflegedienst oder von pflegenden Angehörigen. Eine Sorge, die immer mitschwingt – was passiert, wenn gerade kein Pfle- gedienst oder keinAngehöriger anwe- send ist? Eine interaktive Puppe, die Audio-,Video- und andere Signale so- wohl von der zu pflegenden Person als auch von den Pflegenden aufnehmen, analysieren und weiterleiten kann, soll hier Fortschritte bringen. Eine Kooperation von acht Partnern ausWissenschaft,Wirtschaft und dem Gesundheitswesen wird für dieses Projekt jetzt vom Bundesforschungs- ministerium mit ins- gesamt 1,65 Millionen Euro gefördert. Einer der wissenschaftlichen Partner des Projektes ist das Quality and Usabi- lity Lab von Prof. Dr. Sebastian Möller an der TU Berlin. „Unsere Expertise konzentriert sich auf die emotiona- le Spracherkennung und den Einsatz von Crow- dee“, sagt Dr.Tim Polzehl vom Quality and Usabili- ty Lab. Crowdee ist eine mobile App, die in Echtzeit Auf- gaben (Mikrojobs) an einen registrier- ten Personenkreis (Crowdees) verteilt und der Spracherkennung somit im- mer dann weiterhelfen kann, wenn diese fehlschlägt. Beispiel: Ein Patient ist allein zu Hau- se, und die Sensoren haben ungewöhn- lich lange keine Signale empfangen. Daraufhin spricht die Puppe den Patienten an. Die Antwort wird von einer zentralen Steuerung digital ana- lysiert: Ist der Patient verängstigt, klingt seine Tonhöhe an- ders als normaler- weise. Diese Infor- mationen werden je nach Situation dem Pflegepersonal oder den Angehörigen weiterge- leitet. Während die digita- le Spracherkennung schon weit fortge- schritten ist, birgt die emotionale Spracherkennung oftmals noch manche Probleme. „Wir wissen aber, dass ein Mensch in vielen Si- tuationen oft sehr wohl entscheiden könnte, wie ängstlich zum Beispiel der Sprecher war. Deshalb setzen wir hier das von uns entwickelte Crowdee-Sys- tem ein. In unserem Beispiel könnten die Crowdees Menschen sein, die Er- fahrung in der Sprachanalyse haben. Diese erhalten eine anonymisierte Audio-Datei des Patienten und kön- nen sofort entscheiden, wie reagiert werden muss: Notfall oder nicht.“ Ein zweiter Forschungsschwerpunkt der TU Berlin in diesem Projekt liegt in der Kommunikation mit der pfle- genden Person. „Sie kommen zu Ih- rem dementen Vater in die Wohnung und wollen wissen, ob der heute schon aufgestanden ist. Diese Frage richten Sie an die Puppe, die sie an die re- gistrierten Crowdees weiterleitet, die dann zum Beispiel folgende Frage bekommen: War Herr X heute schon auf dem Balkon, oder haben Sie seine Schritte gehört? Über das Crowdee- System können dieVerteilung und die Beantwortung der Frage in Sekunden- schnelle erfolgen.“ Ziel wäre es, die Puppe so zu programmieren, dass sie selbstständig erkennt: An wen richtet sich die Frage sinnvollerweise? Können das die Nachbarn beantworten oder eher der behandelnde Arzt? „Das ist aber noch Zukunftsmusik“, weiß Tim Polzehl. Katharina Jung Hans-Liudger Dienel Die Pinnwand könnte auch bei der Partizipation der Vergangheit angehören. Auch an Modellen der Beteiligung per Smartphone wird gearbeitet © © Matthies Spielprodukte GmbH & Co. KG © © TU Berlin/FG Arbeitslehre/Technik und Partizipation © © Kai Abresch

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