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TU intern 11-2016

TU intern · Nr. 11/2016 Seite 9 Forschung Junge Wissenschaft Gegen die Entgleisung Der Hohllauf bezeichnet bei Eisenbahn­ radsätzen ein Verschleißbild der ge­ normten Radprofile. Im schlimmsten Fall können hohlgelaufene Radsätze – wie es im Fachjargon heißt – zu Entgleisungen führen. Andere Folgen sind höhere Lärm- emissionen bei Weichenfahrten und eine allgemein höhere Abnutzung an Rad und Schiene, was wiederum die Instandhaltungskosten erhöht. „Um all diese Folgen zu verhindern beziehungs­ weise zu minimieren, wäre es wichtig, die gefährlichen Profilveränderungen an den Rädern frühzeitig zu erkennen“, sagt Tobias Herrmann, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachgebiet Schienen­ fahrzeuge von Prof. Dr. Markus Hecht. In seiner Dissertation hat er sich dieser Problematik angenommen und forscht an der Entwicklung von automatischen Methoden zur Detektion von hohl­ g e l a u f e n e n Radsätzen an Güterwagen. Mit Hilfe der Wellenlauffre­ quenz, die ein Indikator für eine veränderte Rad-Schiene- Kontakt-Geo­ metrie ist, will Tobias Herrmann Anzeichen für hohllau­ fende Radsätze ermitteln. Aus der am Fachgebiet vorhandenen Da­ tenbank von mehr als 400 Radprofilen hat er sich jene mit einem Hohllauf in verschiedenen Stärken ausgesucht und in ein Simulationsmodell eingepflegt. Seine Simulationsrechnungen bestätig­ ten den direkten Zusammenhang von Wellenlauffrequenz und Tiefe des Hohl­ laufs. „Je stärker das Rad verschlissen ist, desto höher ist die Wellenlauffrequenz“, so Herrmann, der an der TU Berlin Ver­ kehrswesen studierte. Bei seinen Messungen in der Praxis zeig­ te sich allerdings, dass der Zusammen­ hang nicht ohne Weiteres nachzuweisen ist, aufgrund vieler äußerer Einflussfakto­ ren. „Simulation und Praxis unterschei­ den sich noch sehr“, so Herrmann. Sybille Nitsche Tobias Herrmann Qualität und Individualität von Lernprozessen tui  Lernende sind häufig auf der Su­ che nach einer entsprechenden Lern­ umgebung, die einen effizienten und effektiven Lernprozess verspricht. Ist es ein persönlicher Coach, ein Skript oder auch ein Online-Tutorial, das die op­ timalen Voraussetzungen bietet? Mit dem Fortschreiten der Digitalisierung stieg die Vielfalt der nutzbaren Infor­ mationsquellen. Vor allem neue Lern­ medien und Lernmethoden stehen für die Lernenden zur Auswahl. Kaum be­ rücksichtigt wird jedoch der individuelle Lerntyp. Das Fachgebiet Qualitätswis­ senschaft von Prof. Dr. Roland Jochem analysiert nun in dem interdisziplinären Verbundforschungsprojekt ESSYST (Edu­ cation Support System) die optimale Zuordnung zwischen Lerntyp und Lern­ umgebung bei Bildungsmaßnahmen, gefördert vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie für zwei Jahre über die Arbeitsgemeinschaft industriel­ ler Forschungsvereinigungen „Otto von Guericke“ e.V. Hauptansprechpartner ist Philipp Miersch, M. Sc. Qualität und Didaktik sind die beiden Kompetenzfel­ der, die zusammen mit dem Zentrum für Universitäres Lehren und Lernen der Universität Hamburg abgedeckt werden. Ziel ist die Entwicklung eines „Education Graph“, der automatisiert Lernumgebungen empfiehlt, auf Basis einer breit angelegten, doch handhab­ baren Datengrundlage. Das ist Neuland im Bildungsmanagement, ebenso wie die Verschränkung von Qualitätswis­ senschaft und Bildungswissenschaft, die neue Lösungsansätze verspricht. www.essyst.tu-berlin.de Neu bewilligt „Wenn Sie heute auf Ihr iPad tippen, bekommen Sie typischerweise die ge- wünschten Daten innerhalb von 100 Millisekunden – für den Alltag reicht diese Reaktionszeit normalerweise aus“, findet Thomas Wiegand. „Derzeit arbeiten wir am Taktilen Internet. Es soll Kommunikation mit Verzögerungszei- ten von 10 Millisekunden oder weniger ermöglichen. Anwendungen dafür fin- den sich unter anderem im Autonomen Fahren, in der Mensch-Maschine-Kom- munikation oder in der Kommunikati- on zwischen Maschinen zum Beispiel in der Produktion.“ Das ist die Dimension, über die Thomas Wiegand reden will, Chef des Fraunhofer Heinrich-Hertz- Instituts (HHI) und Professor an der TU Berlin. Er gehört nach der kürzlich veröffentlichten „Thomson Reuters Most Influential Scientific Minds“-Liste zu den weltweit meistzitierten Wissen- schaftlern der ­ Jahre 2014/15. Thomas Wiegand ist einer der welt- weit renommiertesten Experten der Nachrichtenübertragungstechnik, eines der wichtigsten Zukunftsthe- men, denn Daten sind der Rohstoff der Zukunft. Riesige Datenmengen und extrem hohe Übertragungsraten werden künftig für die Funktion der „Smart Cities“ weltweit benötigt. Die Fraunhofer-Institute HHI und FOKUS entwickeln gemeinsam ein 5G-Testsystem. Dafür haben beide Institute eine Anschubförderung von je 250  000 Euro von der Senatsver- waltung für Wirtschaft, Technologie und Forschung erhalten. Was ist eigentlich „5G“? „5G“ steht für den Mobilfunkstandard der fünften Generation. Doch was ist das überhaupt? „Ein funktionieren- des Mobilfunknetz basiert auf einem sehr gut funktionierenden Glasfaser- Breitband-Festnetz“, erklärt Thomas Wiegand. „Nur den letzten Teil der Wegstrecke legt das Signal über elek- tromagnetische Wellen durch die Luft zurück – über Antennen von einem Zugangspunkt des Netzes zum End- gerät. Die Luftschnittstelle ist der Ab- schnitt der Übertragung, welcher die meiste Energie pro Bit erfordert, was im Betrieb des Netzes sowohl die öko- nomischen als auch die ökologischen Kosten darstellt. Daher ist es sinnvoll, den Luftweg zu verkürzen und das Festnetz möglichst dicht an den Mobil- funknutzer heranzuführen. So ist also ein möglichst umfangreicher Glasfaser- Breitbandausbau vonnöten.“ Das hat die Bundesregierung erkannt und eine „Breitbandagenda“ ins Le- ben gerufen, die auf den Ausbau des schnellen Internets in ganz Deutsch- land bis 2018 zielt. Doch was ist dafür notwendig? Was fehlt? Was ist tech- nisch möglich? Berlin ist als Metropolenregion zwar weit im Ausbau fortgeschritten, aber lange nicht weit genug. „Geplant sind 50 Megabit – für eine Stadt wie Berlin völlig uninteressant“, lautet das Urteil von Wiegand. „Wir brauchen flächen- deckend mindestens 200 Megabit pro Sekunde für jeden Teilnehmer – im Festnetz. Und dann muss die Mobil- funk-Infrastruktur angebunden wer- den.“Weltweit ist Deutschland nur auf Platz 22 im Breitbandausbau – hinter europäischen Regionen wie zum Bei- spiel Malta. Das ist fatal für eine In- dustrienation der Spitzenklasse. „Die Etablierung einer Testumgebung für 5G-Technologi- en könnte Ber- lin im globalen Wettbewerb ins Spitzenfeld der Digitalstandorte katapultieren.“ Der flächende- ckende Festnetz- ausbau ist vor allem deshalb eine unabdingbare Voraussetzung für die moderne Stadt, weil die Geschwin- digkeit der Datenübertragung nicht nur ein technisches, sondern auch ein Ener- gieproblem darstellt. Die Energiebilanz pro übertragenem Bit ist berechenbar. So kostet die Übertragungstechnik etwa 2,5 Prozent der Energieausgaben. „Bei der angestrebten 1000-fach erhöhten Geschwindigkeit der Datenübertra- gung bräuchten wir also das 25-fache vom derzeitigen Gesamtenergieauf- wand, wenn der Energieverbrauch pro Bit gleich bliebe“, so Thomas Wiegand. So muss er mit seinem Forschungsteam also gleichzeitig dieAufgabe lösen, den Energieverbrauch pro Bit drastisch zu reduzieren. Mit der Antennenkeule zielgenau ein bestimmtes Gerät erreichen Zunächst muss also die Luft-Distanz zwischen Glasfaser und Endgerät möglichst klein gehalten werden, da die Übertragung über Glasfaser we- sentlich energieeffizienter ist als die über die Luft. Dort, wo das Daten- aufkommen sehr hoch ist, werden daher viele Basisstationen für kleine Mobilfunkzellen gebraucht. Doch wie reagiert unsere Gesundheit auf eine so hohe Dichte von elektromagnetischen Wellen? „Dem begegnen wir mit einer neuenTechnologie, der ‚wireless fibre‘, der drahtlosen Faser. Sogenannte MI- MO-Antennen können durch eine so- genannte ‚Antennenkeule‘ – übrigens auch am HHI und an derTU Berlin ent- wickelt – zielgerichtet ein bestimmtes Gerät erreichen.“ Bislang werden in ei- ner Mobilfunkzelle, dem sogenannten Sektor, alle darin befindlichen Mobil- funkgeräte angesprochen – und alle, bis auf eins (näm- lich das ange- s p ro c h e n e ) , erhalten dieses Signal als stö- rende Inter- ferenz und es wird unnötige Energie in den gesamten Sek- tor abgestrahlt. Das nennt man Interferenz. Riesige Mengen unnötiger Strahlung und die Interferenzen werden also durch den Einsatz der Massive-MIMO-Antennen vermieden. Die Abmessung von Mas- sive-MIMO-Antennenfeldern ist invers proportional zur Frequenz. Da diese Technologie für kleine Mobilfunkzellen mit hoher Frequenz im Millimeterwel- lenbereich (z. B. 28 oder 60 GHz) ein- gesetzt wird, werden dieAbmessungen der Antennenfelder (Arrays) handlich klein und die Dämpfung durch die Luft bei diesen hohen Frequenzen (6 GHz oder mehr) immer noch akzeptabel. Denn die Antennen der Basisstationen müssen noch eine weitere Bedingung erfüllen: Sie sollen mit dem Stadtraum architektonisch verschmelzen und nicht hässlich hervorstechen. Das wiederum sollen neue, sogenannte „Funkmöbel“ erreichen: anWänden, Lichtsignalmas- ten, Bushaltestellen. Eine weitere Herausforderung dieser Zukunftstechnik ist das „Handover“, also die Signalübergabe von einer Mobilfunkzelle in die nächste, wenn sich der Empfänger bewegt. Die MI- MO-Array-Antennen benötigen eine Sichtachse, was im urbanen Raum eine hohe Anzahl an Antennenstandorten erfordert. „Um Abbrüche der mobilen Signalübertragung zu vermeiden, muss man vorhersagen, wie sich derTeilneh- mer verhält, damit man ihm von der am besten positionierten Antenne ein Sig- nal schicken kann – das ist besonders wichtig imVerkehr oder beim Roboter, der in der Fabrik umherfährt“, erklärt Thomas Wiegand. Solche Vorhersagen sind Forschungsinhalt des Maschinellen Lernens. „Hier arbeiten wir interdiszi- plinär mit TU-Professor Klaus-Robert Müller, dem Spezialisten für Maschi- nelles Lernen, zusammen.“ „Wir arbeiten also an einer Redu- zierung der Strahlenbelastung der Bevölkerung bei gleichzeitig stark erhöhter Datenübertragungsrate“, fasstWiegand zusammen. „Das heuti- ge Mobilfunknetz ist allerdings nicht für die kurzen Reaktionszeiten des Taktilen Internets entworfen. Es war ursprünglich für Medien gemacht, für Nachrichten, die Verzögerungen im Millisekundenbereich nicht zwingend benötigten. Nun aber überlegen wir, die Steuerung von Maschinen oder von selbstfahrenden Autos über das Netz durchzuführen, um mehr Sicher- heit zu erzeugen oder um im Notfall eingreifen zu können.“ Künftig werden Maschinen ganz viele Entscheidungen treffen Die geringen Reaktionszeiten des Tak- tilen Internets können nur erreicht werden, wenn die Datenverarbeitungs- systeme vor Ort sind.Weiterhin können die Datensysteme vor Ort kontinuier- lich über ihre Umgebung „lernen“. Zum Beispiel kann die Sicherheit in einer Umgebung durch das Lernen der Situationen vor Ort verbessert werden. Gefährliche Situationen durch spielen- de Kinder, die auf die Straße laufen, oder durch aus- und einparkende Au- tos können ortsspezifisch erfasst wer- den. Hier spielt das Maschinelle Lernen eine enorm wichtige Rolle. Insgesamt ist dasThema 5G eine Mischung von Infor- mations- und Kommunikationstechnik, Datenverarbeitung und Maschinellem Lernen. Das 5G-Netz ist die mobile In- frastruktur für das digitale Abbild un- serer Umgebung und der Prozesse und Abläufe und damit auf vielen Gebieten inWirtschaft undWissenschaft einer der wichtigsten Motoren für die Innovation. Berlin sei prädestiniert für diese For- schung, so Thomas Wiegand, denn: „Mit Giuseppe Caire in der Kommu- nikationstechnik, Slawomir Stanczak in der Netzwerk-Informationstheorie, Anja Feldmann in den Netzwerk- Architekturen, Klaus-Robert Müller im Maschinellen Lernen und anderen hat dieTU Berlin europaweit eine der meistzitierten Gruppen Forschender im Bereich der Informationstechnolo- gien. Diese exzellenten Forschungska- pazitäten werden durch die intensive Kooperation mit dem neuen Einstein- Zentrum ,Digitale Zukunft‘, den Fraunhofer-Forschungsinstituten und dem Fraunhofer-Leistungszentrum ,DigitaleVernetzung‘ verstärkt.“ Patricia Pätzold Das digitale Abbild der ­ Wirklichkeit Der Mobilfunkstandard 5G wird auf demTU-Campus entwickelt und getestet Berlin ist prädestiniert für diese Forschung. Die TU Berlin und die Fraunhofer-Forschungsinstitute haben derzeit europaweit eine der stärksten Gruppen Forschen- der in Informationstechnologien. Prof. Dr.-Ing. Thomas Wiegand © © TU Berlin/PR/Philipp Arnoldt © © Fraunhofer FOKUS Das Netz der Berliner 5G-Forschungslandschaft: Es reicht vom Fraunhofer-Institut FOKUS zum Heinrich-Hertz-Institut, zum TU-Hauptgebäude, weiter zum TU-Hochhaus und zurück Thomas Wiegand im Showroom des ­Heinrich-Hertz-Instituts © © privat

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