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TUI_07_09_2016

TU intern · Nr. 7–9/2016Seite 7 Forschung Junge Wissenschaft Wissenschaft trifft Pop 2006 begründete der Darmstädter Psy- chologe Alexander Deppert den Science Slam. Es war eine andere Form, Wissen in die Welt zu tragen, als Vorlesungen und Vorträge. Aber war das auch neu und warum konnte diese Kommunikationsgat- tung, um Wissenschaft in die Öffentlich- keit zu tragen, entstehen? Diese Fragen analysierte Miira Hill in ihrer Dissertation „Slamming Science. The New Art Of Old Public Science Communication“. Entstan- den ist sie innerhalb des DFG-geförderten Graduiertenkollegs „Innovationsgesell- schaft heute“, betreut von Prof. Dr. Hu- bert Knoblauch, Leiter des Fachgebiets Allgemeine Soziologie. „Grund für den Science Slam war ein großes Unbehagen mit der Präsentation wissenschaftlicher Vorträge – steif, kaum die Sinne anspre- chend“, sagt die 33-jährige Soziologin. Der Science Slam versteht sich als Kritik an wissenschaftlichen Darstellungs- und Kommunikationsformen. Dabei bringt er neue öffentlichkeitswirksame Wissen- schaftlertypen hervor. Hill findet in ihrer Dissertation unter anderem eine neue wissenschaftliche Persona, die das Ethos des Wissenschaftlers des späten 20. Jahr- hunderts mit der Mittelorientierung des industriellen Ingenieurs und der Autoren- schaft eines Künstlers kombiniert. Auch hat sich der Science Slam verändert. Vor- träge werden nicht mehr nur „recycelt“, sondern wissenschaftliche Inhalte in neuer Form zum Beispiel als Comic präsentiert. So zeigt sich die Bedeutung des Visuel- len und Sinnlichen. „Der Science Slam ist etwas wirklich Neues. Ich konnte zeigen, dass er exemplarisch für eine Entwicklung innerhalb der Wissenschaftskommunika- tion steht, die ich in meiner Arbeit mit dem Begriff der populären Wissenschaft beschreibe“, so Hill.Sybille Nitsche Miira Hill Wissensdynamik in den ­Technikwissenschaften pp  Wie gehen die Technikwissen- schaften mit Wissen um? Das über- prüft ein interdisziplinäres Verbund- projekt der Grundlagenforschung, das mit 1  143  000 Euro von der Deutschen Forschungsgemeinschaft für drei Jahre gefördert wird und im Juli startete. Im Mittelpunkt der Untersuchungen steht der dynamische Umgang mit diesem Wissen, dem theoretischen, dem Regel-, dem Erfahrungswissen und anderem – von der Gewinnung bis zur Anwendung. Die Ergebnisse werden in einem Modell systematisiert. In Fallstudien werden verschiedene geistes-, sozial- und wirt- schaftswissenschaftliche Perspektiven der Technikwissenschaften untersucht. Das Kerngebiet der Untersuchungen bildet die Hochschulforschung. Ziel ist eine verbesserte Verortung der Technik- wissenschaften im Wissenschaftssystem. Helfen sollen dabei präzisere Formu- lierungen des Selbstverständnisses der Technikwissenschaften, eine bessere interne und externe Kommunikations- fähigkeit durch die Klärung zentraler Wissensbegriffe. Das Projekt soll so zur Keimzelle für die Zusammenarbeit zwi- schen geistes-, sozial- und ingenieur- wissenschaftlichen Forscherinnen und Forschern am Standort Berlin werden. Sprecherin ist Dr. Sabine Ammon, ehe- malige IPODI Fellow im Marie-Curie-Pro- gramm, Fachgebiet Architekturtheorie. Mehrere Fachgebiete der TU Berlin sind beteiligt: Arbeitslehre/Technik, Tech- nikgeschichte, Entrepreneurship, Ma- schinensysteme, Informationstechnik, Werkstofftechnik. www.wissensdynamik.tu-berlin.de Neu bewilligt Dinge denken, die schwerfallen Gabi Dolff-Bonekämper zum neuen Graduiertenkolleg „Identität und Erbe“ Frau Prof. Dolff-Bonekämper, das jüngst von der DFG bewilligte Graduiertenkolleg trägt den Titel „Identität und Erbe“. War- um dieses Thema? In derWendezeit arbeitete ich als Denk- malpflegerin in Berlin. Ich erlebte, wie die DDR von einemTag auf den anderen historisch wurde.Viele ihrer Bauten und Denkmale hatten keinen gültigen politi- schen Rahmen mehr und wurden auch „historisch“, obwohl noch gar nicht alt. Wer sollte ihren möglichen zukünftigen Denkmalwert prüfen? Ich zum Beispiel. Das war eine große Herausforderung. Ich war mittendrin in allen kontrover- sen Debatten: um die NeueWache und ihre von Helmut Kohl gewollte Um- widmung zur zentralen Gedenkstätte der Bundesrepublik Deutschland, um die Berliner Mauer als (un)erträgliches Geschichtsdenkmal und auch um den Palast der Republik, der von Ossis als ein Ort der Freizeit und Freude erlebt worden war, von Wessis als ästhetisch banal, ideologisch verseucht abgetan wurde. Mir wurde rasch klar, dass es nicht nur um Bauwerke ging, sondern dass an den Bauwerken „größere“ Fra- gen verhandelt wurden. Welche denn? Zum Beispiel, ob die Vergangenheit der Wessis mehr wert war als die der Ossis und wer sich in Zukunft wie da- ran erinnern sollte, dass es die DDR gegeben hatte. Darüber konnte in der Nachwendegesellschaft in Berlin keine Einigkeit bestehen. Der Dissens war Teil der Sache. Er betraf die Kontra- henten im Innersten, in ihrem Zugehö- rigkeitsgefühl zu Ost- oderWest- oder überhaupt zu Berlin beziehungsweise zu Deutschland. Es ging also um bau- liches Erbe und persönliche Identität. Was ist das Ziel der Forschungen im Gra- duiertenkolleg? Das Ziel ist, zu verstehen, wie und wa- rum Denkmale als Identitätsstützen für Gemeinschaften beansprucht werden. Bauwerke, Stadtquartiere oder Land- schaften, einzelne Kunstwerke oder Sammlungen werden befragt, warum sie von wem mit welcher Sinngebung als Erbe angenommen oder zurückge- wiesen wurden. Nachdem in Europa im Laufe der letzten 200 Jahre fort- während territoriale Grenzen verscho- ben wurden und Gebiete ihre Besitzer wechselten, haben die Denkmale älte- rer Zeiten unterschiedliche Deutungen erfahren. Sie wurden in verschiedene nationale Narrative eingebunden, die mit unterschiedlichen nationalen Iden- titätskonstruktionen verwoben sind. Wenn ein Kultur-Erbstück nicht in die jeweils neue große nationale Erzählung passte, wurde es entweder umgedeu- tet oder zurückgewiesen und beseitigt. Das haben wir mit dem Palast der Re- publik erlebt und zuvor mit dem Ber- liner Schloss, als die DDR-Regierung 1950 befand, dieses Bauwerk gehöre nicht in ihreVergangenheit. Heißt das, dass nationale Identitäten rei- ne Konstruktionen sind? Ja. Sie existieren nicht „an sich“. Iden- tität gilt uns nicht als festgestellte Ei- genart etwa einer Person, einer Grup- pe, einer Nation. Identitäten gehören dennoch als labile, stets wandelbare Konstrukte zu unserer Wirklichkeit. Die Kollegiaten sollen die Identitäts- konstrukte ins Verhältnis zu den Vor- gängen der Erbe-Aneignung setzen und dabei die materiellen Eigenarten der Erbe-Stücke nicht aus den Augen verlieren. Das wird anstrengend. Und das soll es auch. Was könnte denn so eine Frage sein, die zu denken nicht so leichtfällt und die an nationalen Konstruktionen kratzt? Zum Beispiel: Gibt es tatsächlich verschiedene nationale moderne Ar- chitekturen auf dem Territorium der ehemaligen UdSSR? Schon die Frage könnte als Verrat begriffen werden, weil es den früheren Teilstaaten so wichtig ist, sich als eigene Nation zu sehen.Architektur und Städtebau sind aber seit jeher transnationale Produk- te. Dass sie in vielen Nationalstaaten als nationales und kulturelles Eigenes behauptet wurden und werden, gehört zur Geschichte ihrer Aneignung und ideologischen Instrumentalisierung. Diese wiederum kann zur Erhaltung der Bauten durchaus nützlich sein. Oder das Gegenteil tritt ein, und das Erbe wird stellvertretend für das ab- gelehnte System bestraft und zerstört. Das Interview führte Sybille Nitsche Vom CO2 zum Rohstoff pp  Das Ziel, das Treibhausgas Kohlendioxid in eine nützliche Chemikalie zu verwandeln, rückt näher. Bislang fehlten dafür effizien- te Katalysatoren. Nun entdeckte ein Forscherteam der Ruhr-Universität Bochum um Prof. Dr. Beatriz Rol- dan Cuenya, wie plasmabehandel- tes Kupfer das CO2 hochselektiv in Ethylen umwandelt – einen wichti- genAusgangsstoff für die chemische Industrie. Für die Studie kooperierte das Team mit der Gruppe von Prof. Dr. Peter Strasser von derTU Berlin und zwei weiteren Forscherteams in den USA. Ihre Ergebnisse wurden nun in der Zeitschrift „Nature Com- munications“ veröffentlicht. Bislang besaßen die Materialien keine hohe Selektivität; das heißt, sie produ- zierten sehr wenig Ethylen und zu viele ungewollte Nebenprodukte. „Wir haben ganz neue anorganische Kupfer-Katalysatoren entwickelt, die deutlich mehr wertvolles Ethy- len produzieren und zwar durch eine einfache und regulierbare Be- handlung mit Gasplasma. Mit mo- dernster Röntgenanalytik konnte nun der katalytische Mechanismus auf Molekularebene aufgeklärt wer- den“, erklärt Peter Strasser, der die Arbeitsgruppe „Elektrochemische Katalyse-, Energie- und Material- wissenschaften“ leitet. Im Mittelpunkt der Studie standen die Untersuchungen von Hemma Mistry aus Bochum, unterstützt vom BMBF (CO2EKAT), der DFG sowie US-Stiftungen und Ministe- rien. www.tu-berlin.de/?id=173946 Neben dem sportlichen und emotio- nalen Großereignis, der Fußball-Eu- ropameisterschaft, steht ein weiteres Groß-Event auf der Sport-Agenda die- ses Sommers: die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro. Und wie immer vor und während solcher internationalen Wettkämpfe wird ein Problem beson- ders thematisiert: Doping. Verschie- dene pharmazeutische Stimulanzien, Narkotika und vor allem Anabolika werden missbraucht, sollen den Kör- per überlisten und zu Höchstleistun- gen bringen, auf dass er die nationa- le Ehre mehre.Tatsächlich schädigen sie oft den Sportlerkörper, führen zu Abhängigkeit und können auch dem Ruf schaden, wie die jüngsten Er- eignisse rund um die Olympiateilnahme Russ- lands an den Winterspielen in Sotchi gezeigt haben. Neben der medizinischen Dimension ist dem Thema aber auch noch eine andere Kategorie eigen: die Ethik. Große internationale Aufmerk- samkeit erregte das BMBF-Verbund- projekt „Translating Doping – Doping übersetzen“, an dem neben dem Ins- titut für Sportwissenschaft der Hum- boldt-Universität zu Berlin als zweiter Partner das Institut für Philosophie, Literatur-, Wissenschafts- und Tech- nikgeschichte der TU Berlin beteiligt war, unter der Leitung von Prof. Dr. ChristophAsmuth. Die vielschichtigen Beziehungen von Sport und Gesell- schaft wurden hier durchleuchtet, Mo- ral und Recht, Gerechtigkeit, Glaub- würdigkeit, Aspekte von Gesundheit und Natürlichkeit, von Verantwor- tung, von Regulierung und auch von die Einnahme von Medikamenten zu Tode kamen, das Bemühen, Regeln im Kampf gegen Doping zu finden: 1967 kollabierte der englische RadprofiTom Simpson bei der Tour de France kurz vor dem Gipfel des Mont Ventoux und verstarb an der Rennstrecke. Eine Obduktion ergab, dass Simpson Amphetamine zu sich genommen und Alkohol getrun- ken hatte. Infolgedessen war er stark dehydriert, was als Konsequenz der außerordentlich hohen körperlichen Belastung den tödlichen Kollaps zur Folge hatte. Birgit Dressel, eine Sie- benkampf-Leichtathletin, starb 1987 an einem Multiorganversagen infolge eines Kreislaufschocks. Sie hatte in den 16 Monaten vor ihrem Tod 400 Spritzen mit verschiedensten Medikamenten erhalten. Sie nahm wahrscheinlich täglich einAnaboli- kum in sehr hohen Dosen ein und erhielt 20 verschiedene Medikamente von drei Ärzten. Eine weltweite Dis- kussion über Sport und Gesundheit schloss sich an sowie ein absolutes Dopingverbot durch die Sportverbän- de. Aus diesen Beispielen ergab sich einer der vielfältigen im Forschungs- projekt diskutierten Konflikte, näm- lich der Konflikt zwischen der Freiheit und dem Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen und dem Wert der Gesund- heit und seiner gesellschaftlichen Be- deutung.Auf der Website des Projekts können Interessierte in einer Fülle von Materialien, Berichten und Dossiers zu diesem facettenreichen Thema fündig werden. Patricia Pätzold www.translating-doping.de Doping, Gesundheit und Ethik Ein Forschungsprojekt über Sportler, gedopte Mutanten und Helden der Körperlichkeit Philosophie undVisionen.Vom Athle- ten zum Mutanten?, fragte Christoph Asmuth beispielsweise und zeigte die Horrorvision des Gen-Dopings auf, als Super-GAU der Sportwelt: Gentech- nisch optimierteAthleten beherrschen die Arenen der Welt. Der perfekt an seine Sportart angepasste Mutant ist unbesiegbar, das bessere Labor entscheidet über den Wettkampf. Mit dem Nachdenken über Doping wurde natürlich auch die Frage ge- stellt:Wie weit gilt die allgemeine For- mel: „Sport ist gesund“? Bei manchen Formen desAusdauersports wendeten Ärzte in der Vergangenheit sogar die Kategorie der Sucht an. Denn der Sportler scheine von der Ausübung seines Sports körperlich und geistig abhängig zu sein mit allen Folgen, die eine Sucht für das soziale Leben und die Gesundheit eines Betroffenen ha- ben kann, so Asmuth. Gleichzeitig sei die Gesundheit ein zentrales Motiv des Anti-Doping-Kampfes. Immer wieder überschatteten tragische Ereignisse, bei denen Sportler durch Identität und Erbe Das Graduiertenkolleg „Identität und Erbe“ der TU Berlin und der BHU Weimar wird in den nächsten viereinhalb Jahren mit 3,2 Millionen Euro gefördert. Sprecherin ist Prof. Dr. Gabi Dolff-Bonekämper vom Fachgebiet Denkmalpflege. www.tu-berlin.de/?id=92574 „Nationale Identitäten sind stets flüchtige, labile Konstruktionen“ Prof. Dr. Gabi Dolff-Bonekämper © © TU Berlin/PR/Ulrich Dahl © © privat © © Fotolia/mediarts.ch

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