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TU intern 10-2016

Seite 12 TU intern · Nr. 10/2016 Dr. King, hat der historische Richard III. etwas mit der literarischen Figur „Ri- chard III.“ von Shakespeare gemeinsam? Shakespeare nannte ihn einen Buck- ligen, was heißt, dass er vornüberge- beugt lief. Das Skelett zeigt eine seit- licheVerschiebung des Rückgrats, eine schwere Skoliose, was den König eher schief laufen ließ. Eine gewisse Über- einstimmung, die körperlicheAuffällig- keit, ist damit schon vorhanden. Doch nach Shakespeare hinkte er auch und hatte einen verkrüppelten Arm, was das Skelett nicht zeigt. Die bösartigen Charakterzüge, die Shakespeare be- schrieb, sind dagegen nicht historisch verbrieft. Man muss bedenken, dass Shakespeare in der Regierungszeit von Elizabeth I. schrieb. Sie stammte aus dem HauseTudor, der Familie, die den Plantagenets nach schweren Kämpfen auf dem englischen Thron folgte. So konnte der Dichter den verhassten Plantagenet gar nicht als liebenswert darstellen. Er musste schon wegen der Political Correctness ein „schreckli- cher“ Charakter gewesen sein. Mit Ihrer außergewöhnlichen Fächerkom- bination von Archäologie und Genetik waren Sie geradezu prädestiniert für das Grey-Friars-Projekt, die Ausgrabung und die genetische Untersuchung der Gebei- ne, die sich tatsächlich als die sterblichen Überreste des letzten Plantagenet-Königs herausstellten. Wo liegen weitere Anwen- dungsfelder? Insbesondere beschäftige ich mich mit der Verbindung von Familiennamen und einem Y-Chromosom-Typus, den nur Männer tragen. Da auch Familien- namen in England in väterlicher Linie vererbt werden, kann man unter ande- rem den Nachweis über den Ursprung bestimmter Populationen führen. Zum Beispiel habe ich mich mit denWikin- gern in Nordengland beschäftigt. De- ren Gene tauchen auch in Norwegen besonders häufig auf. DieTrefferquote ist besonders hoch bei Namen, die sel- tener vorkommen. Für die USA funk- tioniert das ebenfalls. Beispielsweise hatte US-Präsident Thomas Jefferson ein sehr ungewöhnliches Y-Chromo- som. Ich fand zwei Jeffersons bei uns in England aus ganz verschiedenen Re- gionen, die denselben Y-Chromosom- Typ aufwiesen wie er. Sie wussten zwar nichts von einerVerwandtschaft, trotzdem muss diese vorhanden sein. Das kann recht spaßig sein, wenn man einem Menschen sagt: „Sie sind mit Thomas Jefferson verwandt.“ Auch in der Medizin gibt es vielerlei Anwendungsmöglichkeiten. Im Mo- ment arbeite ich an einem Projekt, das Menschen aus der Umgebung ei- nerAbtei in England untersucht. Dort litten viele Menschen unter der chro- nischen, nicht sehr weit erforschten Paget’schen Krankheit, die Knochen porös und schwammig macht. Hier suchen wir nach spezifischen Genen, die die Menschen in dieser Region tra- gen und die mit dieser Krankheit in Zusammenhang stehen könnten. Es gibt auch Potenziale in der Verbre- chensbekämpfung … Ja, sogar sehr vielversprechende. Wenn man bei einem Verbrechen ein Y-Chromosom isolieren kann, könnte man in einer Datenbank schauen, bei welchem Familiennamen dieses spezi- elle Merkmal vorkommt. Gehört eine Person dieses Namens bereits zu den Verdächtigen, wird das die erste Per- son sein, die man weiter befragt und untersucht. Das könnte Ermittlungen erheblich beschleunigen. Bislang ha- ben wir leider noch keine solche Da- tenbank. Zurück zu Richard III. Was haben Sie ge- dacht und gefühlt, als offenbar wurde, dass Sie tatsächlich die Gebeine des ver- lorenen Königs gefunden hatten? Es gab eigentlich zwei besondere Mo- mente.Wir fanden ihn gleich am ersten Tag der Grabungen, da wir wussten, wo der Chor der Kirche gelegen hat- te, und wussten, dass der König dort begraben worden war. Ich war nicht davon ausgegangen, dass wir ihn wirk- lich finden würden. Doch als ich dieses Skelett eines jungen Mannes sah, mit Kampf- und Schlachtverletzungen, mit der starken Skoliose, der Rückgratver- krümmung, war mir sofort klar, dass hier ein Kandidat vor uns lag. Das war ein berührender Moment. Leider war die DNA bruchstückhaft und degene- riert, denn DNA beginnt gleich nach demTod, sich zu verändern. Und diese hier, die ich aus zwei winzigen Proben aus den Zähnen hatte, war schon 500 Jahre alt. Das macht die Untersuchung schwierig.Als es dann denTreffer gab – es war kurz vorWeihnachten – dachte ich nur: Oh mein Gott! Das war der zweite große Moment für mich. Und gleichzeitig wusste ich, dass ich nun noch sehr viel zu tun hatte, um die- ses Rätsel zu lösen und das Ergebnis eindeutig zu machen. Es war mir auch sofort klar, dass wir unter einem unge- heuren medialen Druck standen – und dass wir das Ergebnis gleichwohl wis- senschaftlich korrekt veröffentlichen mussten. Wissen Sie, welche Haar- oder Augenfarbe der König hatte? Es gibt keine zeitgenössischen Por- träts von Richard  III. Die frühesten entstanden mindestens 25 bis 30 Jahre nach seinem Tod. Ein Test an elf verschiedenen Genen, von denen man weiß, dass sie Haar- und Augen- farbe beeinflussen, hat aber bereits er- geben, dass die Chance, dass Richard blaue Augen hatte, bei 96 Prozent liegt und die, dass er blond war, bei 77 Prozent. Derzeit sind wir dabei, das Genom Richards III. vollständig zu sequenzieren, um zum Beispiel herauszufinden, welche Blutgruppe er wahrscheinlich hatte undÄhnliches. Vielen Dank! Das Interview führte Patricia Pätzold Der König hatte blaue Augen Turi King verbindet Archäologie, ­Geschichte und ­ Genetik – und fand so die Überreste eines Königs, der schon seit 500 Jahren tot ist­ Spezialistin für Genetik und Archäologie – über Turi King pp  Schon mit ihrer Doktorarbeit erregte Turi King großes Auf- sehen. Sie konnte nachweisen, dass Männer mit dem gleichen britischen Nachnamen mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit verwandt sind. Ihre Forschungen weckten auch hohes mediales Interesse, denn sie haben bedeutsames Potenzial für Gebiete wie Forensik, Genealogie, Epidemiologie sowie die Geschichte und Ent- wicklung von Nachnamen und genetischem Erbe. Schon früh war es ihr gelungen, ihre Interessengebiete Geschichte, Archäologie, Anthropologie und Genetik miteinander zu verbinden. Turi King studierte in Cambridge Biologische Anthropologie, wand- te sich dann der Molekulargenetik zu und erwarb schließlich an der Universität Leicester einen Master of Science mit Auszeichnung. Dort promovierte sie 2007 als Stipendiatin des Wellcome Trust. Sie forschte weiter zu Verbindungen zwischen Familiennamen, die in Großbritannien in väterlicher Linie vererbt werden, und ge- netischen Ähnlichkeiten auf dem Y-Chromosom, das nur Männer tragen. So leitete sie unter anderem ein Projekt zum genetischen Erbe der Wikinger im Norden Englands. Weltweit bekannt, auch in der breiten Öffentlichkeit, wurde sie, als sie zusammen mit einem Team der Universität Leicester das Grey-Friars-Projekt leitete, die DNA-Analyse eines Skeletts, das sich als sterblicher Überrest des vor rund 500 Jahren gestorbenen und seitdem verschollenen Königs Richard III. erwies, des letzten britischen Königs aus dem Hause Plantagenet. Derzeit arbeitet sie federführend an der vollständigen Genomse- quenzierung Richards III., die vom Wellcome Trust, vom Leverhulm Trust und von Professor Sir Alec Jeffreys von der Universität Leices- ter, Erfinder des genetischen Fingerabdrucks, finanziert wird. Im November 2016 wird sie für ihren herausragenden Einsatz bei der Vermittlung von Wissenschaft an die Öffentlichkeit mit der renom- mierten Honorary Fellowship der British Science Association (BSA) geehrt. Turi King ist Mutter von vier Kindern. Auf der Pressekonferenz im Februar 2013 konnte Turi King der staunenden Öffentlichkeit die genetischen Übereinstimmungen von Richard III. und einem heute noch lebenden Nachfahren aus der Familie nachweisen Sensationeller Fund auf dem Parkplatz Von einer Sekunde zur anderen verän- derte sich sein Leben, als der Kanadier Michael Ibsen diesen Anruf aus England bekam: Er sei mit allergrößter Wahr- scheinlichkeit mit Richard III. verwandt, dem letzten englischen König aus der Linie der Plantagenets, der vor mehr als 500 Jahren in einer Schlacht gefallen war. „Ein Pferd, ein Königreich für ein Pferd“, hatte der hässliche, bucklige und skru- pellos mordende König vergeblich an- geboten, zu Fuß und verletzt auf dem Schlachtfeld herumirrend. So jedenfalls hatte rund 100 Jahre später William Shakespeare Richards III. Lebensende in seinem gleichnamigen Drama beschrie- ben, und so blieb er Generationen von Menschen weltweit in Erinnerung. His- toriker zweifeln heute daran, dass die literarische Darstellung und die histori- sche Wahrheit übereinstimmen. Doch seit 2013 ist eins nicht mehr zu leugnen: Richard war bucklig, zumindest von sehr schiefer Körperhaltung. Als Dr. Turi King und weitere Wissenschaftler am 4. Februar 2013 vor die Weltpresse tra- ten, hatten sie eine Sensation zu verkün- den: Bei dem Skelett, das bei Ausgrabun- gen unter einem Supermarkt-Parkplatz in der Nähe von Leicester im August 2012 gefunden worden war, handelte es sich um die Überreste von König Richard III. Er war 1485 in der Schlacht von Bosworth gefallen, seine Leiche zum nahe gelege- nen Kloster der Grey Friars-Bruderschaft, gebracht und eilig und ohne Pomp beer- digt worden. Wenige Jahre später war das Kloster aufgelöst und die Gebäude ab- getragen worden. Damit geriet auch das Grab in Vergessenheit. Mit der schwieri- gen Gen-Analyse – die DNA ist mehr als 500 Jahre alt und entsprechend degene- riert – wurde die Molekulargenetikerin, Anthropologin und Archäologin Dr. Turi King betraut. Doch für einen Vergleich benötigte sie einen lebenden Verwand- ten. Man fand bestimmte Merkmale, die nur über die weibliche Linie vererbt werden. Die detektivische Verfolgung der Linie einer Schwester Richards, Anne of York, führte über viele Generationen zu der Kanadierin Joy Ibsen, die allerdings leider verstorben war. So kam Michael Ibsen, ihr Sohn, ins Spiel. Er war bereit, eine Probe abzugeben – und das brach- te den Durchbruch. In der diesjährigen Queen’s Lecture der TU Berlin wird Turi King ausführlich über die Details dieses Wissenschafts-Krimis berichten. Patricia Pätzold Schon das Skelett zeigt Schlacht- und Kampfverletzungen sowie eine starke Verkrümmung der Wirbelsäule, die zu den historischen Beschreibungen passen © © University of Leicester (2) © © University of Leicester © © National Portrait Gallery, London Queen’s Lecture Die Lösung des 500 Jahre alten ­ Rätsels um König Richard III. tui  Der Präsident der TU Berlin, Prof. Dr. Christian Thomsen, lädt ein zur diesjährigen Queen’s Lec- ture. Sie beschäftigt sich mit dem sogenannten „Grey-Friars-Projekt“ und derWiederentdeckung der 500 Jahre lang verschollenen Gebeine von König Richard III., dem letzten Plantagenet-König von England. Dr. Turi King, Genetikerin und Archäologin von der Universität Leicester, wird mit ihrem Vortrag „King Richard III – The resolution of a 500 year old mystery“ erläu- tern, auf welcheWeise das Geheim- nis gelüftet werden konnte. Die Queen’s Lecture wird unter- stützt von der Britischen Botschaft und dem British Council. Der Vortrag wird in englischer Sprache gehalten, die Anmeldung hat bereits begonnen: Zeit: 1. November 2016, 17 Uhr Ort: TU Berlin, Hauptgebäude, Audimax T 314-2 56 78 veranstaltungen@tu-berlin.de www.tu-berlin.de/queenslecture Jahresempfang Campus ­ Charlottenburg: genau auf dem Campus! ehr  In diesem Jahr findet der Jahres- empfang erstmalig bei der Physikalisch- Technischen Bundesanstalt statt. Zeit: 27. Oktober 2016, 16.30 Uhr Ort: Abbestraße 2–12, Eingang über Fraun- hoferstraße campus-charlottenburg.pressestelle.tu-berlin. de/index.php?id=134 Bohlmann-Vorlesung 2016 – Verleihung Schering-Preis 2015 Professorin Frances H. Arnold, California Institute of Technology, Pasadena/USA, hält die 28. Bohlmann-Vorlesung. Sie referiert über das Thema „Innovating with Evolution: Expanding the Enzyme Universe“. Außerdem wird der Schering- Preis 2015 für hervorragende Dissertati- onen im Fach Chemie an den Berliner Universitäten verliehen. Zeit: 11. November 2016, 16 Uhr Ort: Straße des 17. Juni 115, Chemiegebäu- de, Raum C 130 www.tu-berlin.de/?78695 „Green Day“ für Schülerinnen und Schüler An dem bundesweiten Projekttag „Green Day“ haben Schülerinnen und Schüler der 8.–12./13. Klasse die Möglichkeit, „grüne“ Berufe und Studienwege zu den Themen Umwelt, Nachhaltigkeit und Klimaschutz kennenzulernen. Die Fakultäten und Einrichtungen der TU Berlin stellen ihre Forschungsfelder vor und bringen sie den Schülerinnen und Schülern in Form von Experimenten und Workshops näher. Zeit: 14. November  2016, 8–13 Uhr Ort: Straße des 17. Juni 135, Hauptgebäude www.schulportal.tu-berlin.de/menue/ angebote/events/green_day Neujahrsempfang 2017 des Präsidenten der TU Berlin Der Festakt bietet Gelegenheit, die Er- gebnisse und Erfolge des Jahres 2016 Revue passieren zu lassen und einen Ausblick auf die neuen Aufgaben und Termine des Jahres 2017 zu geben. TU- Präsident Prof. Dr. Christian Thomsen begrüßt zu diesem Anlass nationale und internationale Vertreterinnen und Vertreter aus Wissenschaft, Forschung, Wirtschaft, Politik und Kultur sowie alle interessierten TU-Mitglieder. Zeit: 20. Januar 2017, 15 Uhr Ort: Straße des 17. Juni 135, Hauptgebäude, Lichthof Ausblick T 314-25678

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